Politik
Verschnaufpause für die Vielfalt
All diese Aktivitäten hatten letztendlich dasselbe Ziel – den Vorschlag der EU-Kommission zu entschärfen bzw. abzulehnen. Mit der Zurückweisung des EU-Parlaments an die Kommission ist dieser Kommissionsvorschlag vorerst vom Tisch. Mit der Wahl des EU-Parlaments im Mai 2014 und einer neuen Kommission im Herbst 2014 heißt es nun gewissermaßen zurück an den Start.
Die Kritik
Bislang fällt nur „kommerziell genutztes“ Saatgut unter EU-Vorschriften. Für traditionelle und alte Sorten gibt es Ausnahmen. Auf Basis des alten Kommissionsvorschlages wäre künftig jedes Saatgut, das über Tausch oder Handel in Umlauf gebracht wird, als „kommerzielle Nutzung“ eingestuft worden. Besonders betroffen hätte diese Regelung alte Landsorten, Erhaltungssorten und Sorten, die Raritäten darstellen oder von geringer ökonomischer Bedeutung sind. Das Ziel von Saatguttestverfahren ist es, vor allem gleichbleibende Qualität von Pflanzen und Saatgut sicherzustellen. Aber gerade traditionelle und seltene Sorten entsprechen diesen Kriterien oft nicht und es besteht die Gefahr, dass diese damit vom Markt gedrängt werden. Die Kosten für die Zulassung einer einzigen Sorte werden von ExpertInnen auf 1.000 Euro geschätzt. Mit solch einer zusätzlichen monetären Belastung kann die bestehende Nachfrage nach altem Saatgut erheblich unter Druck geraten. Zwar waren im Entwurf Ausnahmen für HobbygärtnerInnen, ErhalterInnen, Vereine sowie Mikrounternehmen vorgesehen – diese hätten insbesondere den österreichischen KonsumentInnen aber wenig genützt: Für Supermärkte, die seit einigen Jahre alte Sortenraritäten von Gemüse und Jungpflanzen in ihrem Sortiment führen, hätten diese höchstwahrscheinlich nicht gegolten. Auch manche Produzenten, die seit Jahren auf die Vielfalt setzen, wären nicht unter die Ausnahmeregelung gefallen. Ob sie unter geänderten Rahmenbedingungen insbesondere neuer Auflagen ihre Arbeit weiterführen, darf spekuliert werden. Zudem gab es erhebliche Demokratiedefizite im Entwurf, da sich die EU-Kommission in wesentlichen Fragen über delegierte Rechtsakte in vielen Bereichen Änderungen bzw. weitere Präzisierungen vorbehalten hätte. Bei einem neuen Entwurf ist die Anzahl der delegierten Rechtsakte auf das wesentlichste zu beschränken. Insbesondere Rechtsakte, die die Biodiversität betreffen, sind bereits in der Verordnung selbst zu regeln.
Wie weiter?
Die Wahl zum EU-Parlament ist bereits geschlagen. Im November wird die neue EU-Kommission vom EU-Parlament gewählt. Bis dahin wird vorerst wenig bis gar nichts passieren. Zwar könnten Rat und Kommission der EU bereits nächste Schritte einleiten, aber die griechische EU-Präsidentschaft hat bereits empfohlen, einen neuen Vorschlag zum EU-Saatgutrecht auch der neuen EU-Kommission zu überlassen. Schließlich liegt es in der Verantwortung und Zuständigkeit des EU-Gesundheitskommissars sich diesem Thema zu widmen. Da der derzeitige EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg dem Vernehmen nach nicht nochmals ernannt wird, wäre es fast ein Affront, wenn sein Ressort einen neuen Vorschlag präsentieren würde. Es ist also davon auszugehen, dass die neue Kommission einen neuen Vorschlag präsentieren wird. Sie hat verschiedene Möglichkeiten: Erstens, den alten Vorschlag zu reparieren und auf die vorgebrachte Kritik einzugehen – die EU-Abgeordneten hatten rund 400 Abänderungsanträge eingebracht. Diese Überarbeitung würde ein paar Monate dauern. Sie kann aber auch einen gänzlich neuen Vorschlag erarbeiten lassen – das könnte dann mehrere Jahre dauern. Da die EU-Saatgutverordnung in einem Paket mit vier anderen EU-Verordnungen präsentiert wurde, ist es wohl realistischer von einem abgeänderten alten Vorschlag auszugehen, der im Laufe des Jahres 2015 präsentiert wird.
Was ist nötig?
Sobald ein neuer Entwurf vorgelegt wird, beginnt der politische Prozess erneut: Das EU-Parlament, der EU-Rat und die EU-Kommission versuchen gemeinsam eine Einigung zu finden. Erst wenn sich alle drei geeinigt haben, tritt das neue EU-Saatgutrecht in Kraft.
Derzeit sind die Vorschriften für EU-Saatgut in zahlreichen EU-Richtlinien geregelt. Dies erlaubt den Nationalstaaten Freiräume, die insbesondere Österreich sehr gut genutzt hat. Österreich nimmt daher in der EU bei altem und traditionellem Saatgut nahezu eine Sonderstellung ein. Hierzulande ist es aufgrund einer relativ guten Rechtslage möglich, dass der Tausch und Handel mit alten Saatgutsorten nicht illegal ist. In Frankreich oder Großbritannien sind die Gesetze viel strenger und der Handel bzw. der Nachbau von Saatgut ist sogar verboten. In Österreich konnte sich daher in den vergangenen Jahren ein guter Markt für den Handel, Tausch und Nachbau von alten und traditionellen Sorten im Gemüse-, Getreide- und Obstbereich etablieren.
Eine neue EU-Saatgutverordnung ersetzt die alten EU-Richtlinien zum Saatgut. Diese Richtlinie ist dann für alle EU-Mitgliedsstaaten gesetzlich bindend, nationale Spielräume sind dann nicht mehr möglich. Die österreichischen KonsumentInnen haben die Vielfalt insbesondere bei Gemüse und Obst in den vergangen Jahren – auch Dank des Angebotes im Supermarkt – stark nachgefragt. Aber auch insgesamt gibt es ein großes Interesse an altem und traditionellem Saatgut. In einer EU-Saatgutverordnung dürfen daher keinerlei Hindernisse für die Vermarktung und den Tausch von alten und traditionellen Sorten sowie deren Produkte bestehen – unabhängig davon, wie klein oder groß der Produzent oder der Vermarkter ist. Weiters dürfen keine zusätzlichen Hürden geschaffen werden, um die Preise für Produkte von alten oder traditionellen Sorten zu erhöhen, die sich dann wiederum im Preis für die KonsumentInnen niederschlagen. Ziel einer EU-Saatgutverordnung muss zudem der Erhalt und die Förderung von altem und traditionellem Saatgut sein. Gerade im Zuge der Klima- und Umweltveränderungen wird dies zukünftig noch wichtiger sein als bisher. Im österreichischen Regierungsprogramm 2014-2018 ist die „Erhaltung der österreichischen Vielfalt im Bereich des Saatgutes“ bereits festgehalten. Eine neue EU-Saatgutverordnung darf die Vielfalt nicht zusätzlich einschränken. Die UNO-Welternährungsorganisation FAO hat in ihren Berichten wiederholt festgestellt, dass im 20. Jahrhundert 75 Prozent der Biodiversität in der Landwirtschaft verloren gegangen sind. Im 21. Jahrhundert sollte diese Entwicklung gestoppt und umgekehrt werden.