Leben

Essen im Überfluss –trotz Krisen gut versorgt?

In Österreich wurden im Jahr 2021 Agrarprodukte und Lebensmittel im Wert von 13,84 Millionen Euro exportiert und im Wert von 13,88 Millionen Euro importiert. Ohne auf die Frage einzugehen, ob alle diese Ein- und Ausfuhren ökologisch sinnvoll sind, wird deutlich, dass wir nicht mit ausländischen Lebensmitteln überschüttet werden, denn die Handelsbilanz ist beinahe ausgeglichen. Darüber hinaus besteht bei wichtigen Produkten ein Versorgungsgrad jenseits der 100 Prozent-Marke. So liegt der Selbstversorgungsgrad (SVG) für Brotweizen bei 239 Prozent, der für Trinkmilch bei 177 Prozent, für Fleisch insgesamt bei 112 Prozent und der für Rindfleisch sogar bei 145 Prozent. Das bedeutet, dass jedes dritte in Österreich produzierte Kilo Rindfleisch nicht im Inland konsumiert wird. Und der Weizen für die Broterzeugung geht zum größeren Teil ins Ausland. 

Versorgungssicherheit am Beispiel Getreide

Laut Statistik Austria liegt der SVG für Getreide in Österreich bei rund 90 Prozent. Am ersten Blick könnte man meinen, dass aufgrund dieser Mengenbilanz im Krisenfall zu wenig Brot da wäre, um die Bevölkerung zu ernähren. Abgesehen von vielen anderen Ressourcen, die erforderlich sind, um Brot zu backen – allen voran Arbeitskräfte, Energie, Mühlen und Maschinen – gibt es ein Vielfaches an dafür notwendigen Getreidemengen, die auf den Ackerflächen im Inland geerntet werden. Denn die entscheidende Frage dabei ist, wofür diese Ernte verwendet wird. 

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Die Grafik zeigt, dass gemessen an der gesamten zur Verfügung stehenden Getreidemenge, das sind 5,3 Mio. Tonnen Inlandsproduktion und ca. 1 Million Tonnen Importware, der allergrößte Teil an Tiere verfüttert wird. Den zweitgrößten Getreideverbrauch hat die Industrie. Sie verarbeitet mit 27 Prozent einen außergewöhnlich hohen Anteil an der Gesamtmenge. Die daraus produzierten Produkte, wie Stärke und Zitronensäure (hptsl. durch Fermentation Melasse oder Mais), werden in der chemischen Industrie, neuerdings auch häufiger für Verpackungen, aber auch für Lebensmittel verwendet. Ein bedeutender Teil davon wird als verarbeitetes Getreideprodukt mit entsprechend höherer Wertschöpfung exportiert. Gemeinsam mit dem grafisch dargestellten 12 Prozent-Anteil des Getreides für aus Mehl hergestellte Lebensmittel, macht der Getreideverbrauch für die pflanzliche Ernährung in Österreich 20 Prozent der verfügbaren Menge aus. Im Klartext heißt das: vier von fünf Kilo Getreide werden nicht direkt für die menschliche Ernährung verwendet. Bemerkenswert ist auch der Anteil des Getreides, der für den Tank als Benzinersatz zu sogenanntem Bioethanol verarbeitet wird. Der Verbrauch von 10 Prozent des Getreides dafür ist beinahe so hoch wie jener für Brot, Mehl und Nudeln. Klar ist: es gibt auch in Österreich reichlich Potenzial für „mehr am Teller und weniger im Trog und Tank“.

Ernährungssicherheit versus Tierfutter und Tank 

Laut deutscher „Agrarzeitung“ wird global betrachtet 9 Prozent des Getreides und 15 Prozent des Pflanzenöls im Tank verbrannt. Der „Verband der Biokraftstoffindustrie“ sieht darin die Verwertung „struktureller Überschüsse“, die Agrarpreise „stabilisieren“ soll. Das klingt in Zeiten, wo sich Menschen in manchen Ländern das Brot kaum leisten können, besonders zynisch. Neben der Ethanol-Produktion aus wertvollem Getreide und Pflanzenölen, werden in Brasilen schätzungsweise 14 Mio. Hektar Zuckerrohr zu 30 Mrd. Liter Sprit verarbeitet. Weitere 11 Mio. Hektar Fläche sind geplant, was die Abholzung des Regenwalds vorantreibt. All diese Zahlen machen deutlich: So lange Energie auf Ackerflächen und nicht aus Reststoffen erzeugt wird, bedeutet das eine direkte Nahrungskonkurrenz. Zudem kann die Klimakrise durch Abholzung, Intensivierung und enormen Wasserverbrauch beschleunigt werden. Anders ausgedrückt: Die zügellose Ausweitung der Agrarproduktion ist ein Klimakiller. Das wohl größere Potenzial, wenn es um Ernährungssicherheit geht, liegt im enormen Verbrauch an Ackerflächen für Tierfutter. Eine Halbierung des Fleischkonsums wäre gut für die Gesundheit, die Klimabilanz und die Ernährungssicherheit.

Ernährungssicherheit trotz Ukrainekrieg?

Weltweit werden schätzungsweise 772 Mio. Tonnen Weizen erzeugt. In der Ukraine wächst davon ein Anteil von etwa 3 bis 4 Prozent. Global betrachtet handelt es sich um eine relativ kleine Menge. Dennoch stiegen durch den Stopp der Exporte aus der Ukraine die ohnehin hohen Weltmarktpreise für Getreide und Ölsaaten enorm an. Diese Teuerung ist für ärmere Länder, die auf diese Importe angewiesen sind, eine Überlebensfrage. Obwohl global gesehen ein großes Kontingent an Getreide erzeugt wird, das ohne Probleme auf dem Teller statt im Trog oder Tank landen könnte – und in diesem Fall die ukrainischen Exporte zumindest teilweise ersetzen könnte – ist die Ernährungssicherheit nicht überall auf der Welt realisiert. Die politische Entscheidung der EU-Agrarminister:innen, die Agrarproduktion durch Rücknahme von Umweltauflagen zu steigern, bedeutet jedoch nicht, dass damit die Ernährung sichergestellt wird. Denn wer garantiert, dass nicht noch mehr Getreide in Trog und Tank landen und nicht auf den Tellern der Menschen, die es brauchen?