Schwerpunkt

Infrastruktur-Ausbau

Nichts geht mehr – wohin sollte es denn gehen?

Am 2. Februar 2017 hat das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den Antrag des Flughafens Wien auf Genehmigung der Dritten Piste im Verfahren gemäß Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVP-G) abgewiesen.  Das öffentliche Interesse, dass es zu keinen weiteren Emissionen von Treibhausgasen (THG) durch Betrieb der Dritten Piste komme und Österreich seine internationalen THG-Reduktionsverpflichtungen  einhalte, überwiege die anderen öffentlichen Interessen, die für die Errichtung sprechen, so das BVwG. Gleiches  gelte auch für den Aspekt des Bodenverbrauchs. Das war ein Paukenschlag, mit dem niemand gerechnet hat. 

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Hauptstreitpunkt zum Flughafen war immer der „Fluglärm“ gewesen. Doch fürs UVP-Verfahren waren da eher keine Konflikte zu erwarten, da die in der Flughafenmediation ausgehandelten Lärmschutzmaßnahmen weit mehr Schutz bieten als das, was Luftfahrtgesetz (LFG) samt Verordnungen verspricht. Wenn, dann wären höchstens Nachbesserungen denkbar.

Immer wieder, insgesamt aber selten, werden UVP-Anträge gänzlich abgelehnt. In einem so „politiknahen Verfahren“, wo Eigentümer- und Behördenrolle so nahe sind und die politischen Kräfte auf Bundes- und Länderebene folglich an einem Strang zu ziehen scheinen, rechnet man umso weniger damit. Das Verkehrsministerium befürwortet das Projekt. Wien und NÖ sind Aktionäre des Flughafens. Schon 2001 hatte der Flughafen begonnen, sich mit den Umlandgemeinden im Wege einer Mediation zu verständigen. Wenigstens zweimal – 2006 und 2012 – sind LFG und UVP-G geändert worden, um weitere Genehmigungshindernisse zu beseitigen. 

Das Klimaschutzargument des BVwG polarisiert bis heute. Projektgegner und Umwelt-NGOs jubelten: Endlich würden Umweltschutz und Klimaschutz gebührend ernst genommen. Demgegenüber titelte z.B. die Zeitschrift Trend am 17.3.2017: „Der Standort in Gefahr – Der Aufschrei der Bosse“ und ließ einen zu Wort kommen: „Wenn Klimaschutz und Bodenverbrauch damit zu Genehmigungskriterien geworden sind, dann könne man den Wirtschaftsstandort abhaken“. Diese Titelgeschichte steht nur stellvertretend für die vielfach – aus Bundes- und Landespolitik, Interessensvertretungen und Wirtschaft – vorgebrachte Sorge, die zuweilen auch in Kritik an der neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Befangenheitsvorwürfen gegen die Richter und sogar Anzeigen wegen Amtsmissbrauchs gipfelte. 

Die nächste Welle der Aufregung löste dann Mitte März das S1-Lobautunnelverfahren aus, als der Verfassungsgerichtshof verkündet hat, dass keine Bedenken gegen die Bundesstraßen-Lärmschutzverordnung bestünden. Damit war an sich der Weg für eine Weiterführung dieses Verfahrens vor dem BVwG frei, was die Grünen in der Wiener Stadtregierung auf den Plan rief, die den Tunnel ablehnen und für eine neuerliche Variantenprüfung, also ein völliges Zurück-an-den-Start, plädieren. 

Zurück an den Start?

Mehreres waren in dieser Zeit Gegenstand der medialen Abhandlung. Zu allererst wurden Stimmen laut, dass solche „politischen“ Entscheide nicht zu den Gerichten gehören. Wenn öffentliche Interessen in einer UVP abzuwägen seien, dann sollte dies gewählten Politikern vorbehalten sein. Abgesehen davon, dass diese Argumentation verkennt, dass Verwaltungsentscheide immer von Behörden in Vollziehung der Gesetze getroffen werden, lief sie sich auch sonst tot: Bald stellte das Bundeskanzleramt klar, dass an eine Abänderung der 2014 neugeschaffenen Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht gedacht sei. Eine partielle Ausnahme für den Bereich der UVP vom Prinzip, dass Gerichte in zweiter Instanz entscheiden, wäre schwer mit grund- wie europarechtlichen Anforderungen in Einklang zu bringen. Verstummt sind auch die Forderungen, dass die Verwaltungsgerichte nur mehr bloß aufhebend entscheiden mögen. 

Dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache entscheiden, dabei auch Ermessen üben und nur ausnahmsweise zurückverweisen dürfen, war ein 2014 mühsam errungener Eckpfeiler zur Verfahrensbeschleunigung. Das wollte wohl auch niemand mehr in Frage stellen.

So konzentrierten sich die Zurufe darauf, dass die Interessen des Wirtschaftsstandortes in Verfahren stärker berücksichtig werden müssten. Mitte Mai haben die Landeshauptleute eine entsprechende Staatszielbestimmung und eine Überprüfung des UVP-G gefordert, ob es überschießend (golden plating) ist und weiter beschleunigt werden kann. Wenige Tage später haben SPÖ- und ÖVP-Abgeordnete einen Initiativantrag zur Abänderung des Bundesverfassungsgesetzes über die Nachhaltigkeit und den Umweltschutz eingebracht, damit „Standort, Wachstum und Arbeitsplätze“ dort auch als Staatsziele genannt werden.

Den Nutzen des Antrages darf man bezweifeln. Liest man das Erkenntnis des BVwG, wird sofort klar, dass es keine neuen UVP-Genehmigungskriterien Klimaschutz und Bodenverbrauch geschaffen hat, weil es sich nicht aufs UVP-G stützt. Das BVwG hat die Dritte Piste alleine aufgrund § 71 LFG abgelehnt, der bestimmt, dass ein Projekt zu genehmigen sei, wenn es – kurz gefasst – technisch geeignet und finanziert sei, „sofern keine sonstigen öffentlichen Interessen entgegenstehen“. Offener und unbestimmter kann man eigentlich Genehmigungskriterien nicht gestalten.  § 71 LFG lässt jede Option offen. Jedes öffentliche Interesse kann zur Ablehnung der Genehmigung führen. Wenn Behörden und Gerichte anhand solch einer Bestimmung zu entscheiden haben, dann ist eben völlig unvorhersehbar, was rauskommt. Daran würden auch weitere Staatsziele nichts ändern. Über ihre Gewichtung ist außerdem wieder nichts gesagt.

„Wenn die Politik wissen will, was in den UVP-Verfahren rauskommen soll, dann muss sie klarer sagen, was sie will; dazu sind Gesetze da“, haben namhafte Verfassungsjuristen kommentiert. Umso interessanter ist, dass niemand aus Politik oder von Betreiberseite bisher vorgeschlagen hat, das LFG zu novellieren (wobei man annehmen darf, dass das Erkenntnis von Ministerialjuristen und Betreiberanwälten genau gelesen worden ist). Ein neuer § 71 LFG könnte konkret sagen, welche Rechtsgüter anhand welcher Maßstäbe geschützt werden sollen, insbesondere inwiefern Klimaschutz und Bodenverbrauch zu berücksichtigen sind. Doch daran scheint kein Interesse zu bestehen. Ähnliche Fragen werfen auch das Eisenbahn- und das Bundesstraßengesetz auf.

Kernthema Raumordnung

Übrigens: Das BVwG wollte das LFG wegen Unbestimmtheit beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) anfechten, hat dies aber dann unterlassen. Denn der hat schon am ähnlich unbestimmten Denkmalschutzgesetz nichts zu kritisieren gefunden. Dass der VfGH damit keinerlei Grenze „nach unten“ aufzeigt, wo die verfassungswidrige „formalgesetzliche Delegation“ an die Vollziehung beginnt, könnte ein Teil des Problems sein. Auch sonst kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Aspekte, die gesetzlich nicht oder unbestimmt geregelt sind, die Verfahren in die Länge ziehen. Auffallend ist auch das notorische Schutzgefälle zwischen dem UVP-G und den Infrastrukturgesetzen. Letztere kennen keine Beteiligungsrechte von Dritten und lassen das gebotene Schutzniveau nur erahnen. Betreiber wollen deswegen auch immer „raus aus der UVP“, während Nachbarn und Umwelt-NGOs das Gegenteil wollen.

Trotz dieses Befundes stoßen Vorschläge zur Modernisierung der Infrastrukturgesetze und zur besseren Abstimmung von Landesraumordnung mit der Bundesinfrastrukturplanung keineswegs auf Gegenliebe bei zuständigen Ministerien und auf Betreiberseite. Ein Punkt dazu im ursprünglichen Regierungsprogramm der Bundesregierung ist überhaupt nicht begonnen worden. Ganz im Gegenteil: Es scheint immer noch das Kalkül vorzuherrschen, dass man mit den bestehenden offenen Vorschriften besser fährt. Ohnedies ist es Mode geworden, ständig weitere Beschleunigungen im UVP-G zu fordern, freilich ohne dazu auch nachvollziehbare Regelungsvorschläge vorzulegen. Wer Lösungen sucht, den befällt angesichts solcher Szenerie Ratlosigkeit. Die Beschwerde darüber, dass Gerichte letztlich entscheiden, wird dann absurd. Denn dass sie dazu berufen sind, ist verfassungsrechtlich unverrückbar und dass ihre Entscheidungsspielräume umso größer sind, je unbestimmter die gesetzlichen Vorgaben sind, ist logisch. Was aber dann? 

Außer Streit sollte stehen, dass Österreich eine moderne Verkehrsinfrastruktur braucht. Ebenso klar sollte sein, dass Umwelt- und Anrainerinteressen dabei ordentlich zu berücksichtigen sind. Das ist im Interesse aller. „Golden Plating verhindern“ und „Hauptsache Beschleunigung“ sind kein Zukunftskonzept. Vielmehr braucht es nach all der Aufregung endlich eine fachliche Diskussion abseits von Populismen. Blickt man in die UVP-Dokumentation des Umweltbundesamtes, so zeigt sich schon, dass gewisse Infrastrukturverfahrenstypen länger dauern, wobei einzelnen „Ausreißern“ da großes Gewicht zukommen dürfte. Ursachen lassen sich daraus noch lange keine ableiten. Vielmehr scheinen die Zusammenhänge sehr komplex zu sein. Daher ist es höchste Zeit, den Fragen endlich gründlich nachzugehen. ¨