Schwerpunkt
Weltklimapolitik
Eine sozial-ökologische Herausforderung
Lange Zeit ging es in wissenschaftlichen und öffentlichen Debatten vor allem um die Frage, ob es überhaupt Belege für eine vom Menschen gemachte Erderwärmung gibt. Doch inzwischen verfestigt sich immer mehr die Einsicht, dass es nicht mehr um die drohende Gefahr einer globalen Erderwärmung in der Zukunft geht. Der Klimawandel ist in vielen Teilen der Welt schon heute Realität und er wird wahrscheinlich die Szenarien des Weltklimarates noch übersteigen. Und es muss nüchtern konstatiert werden, dass alle Anstrengungen, den Klimawandel in seinen Auswirkungen zu begrenzen, in den letzten Jahren nicht von Erfolg gekrönt waren – eine Minderung der Treibhausgasemissionen wurde allein durch die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 bewirkt.
Interessengegensätze
Schon im einleitenden Beitrag wurde angesprochen, dass der Klimawandel keine rein technische, sondern eine sozial-ökologische Herausforderung ist. Der prominente englische Klimaforscher Mike Hulme spricht daher in seinem Buch: „Streitfall Klimawandel“ davon, dass es sich nicht einfach um ein „Problem“ handelt, das auf eine „Lösung“ wartet. Der Klimawandel ist notwendig umstritten – und das nicht nur zwischen den Staaten, sondern auch innerhalb von Gesellschaften. Zu oft und zu oberflächlich werden hier nur die vermeintlichen Bremserstaaten in internationalen Verhandlungen an den Pranger gestellt. Dabei sind in allen Gesellschaften die Abhängigkeiten von fossilen Brennstoffen noch erheblich – und entsprechende Interessengruppen stellen sich überall einer ambitionierteren Klimapolitik entgegen. Auch der Lebensstil in den Industrieländern und seine Vorbildfunktion für die sich herausbildenden Mittelklassen der Schwellen- und Entwicklungsländer trägt seinen Teil bei. Daher müssen wir von einer umfassenden Krise der Beziehungen zwischen Gesellschaften und ihrer natürlichen Umwelt ausgehen.
Diese Krise betrifft die Ressourcenbasis der globalen Gesellschaften (insbesondere ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen wie Kohle und Öl) und die Folgen aus ihrer Nutzung, geht aber darüber hinaus. Einmal werden auch Wechselwirkungen mit anderen Prozessen zunehmend zum Problem, wie vor allem mit Fragen der Landnutzung und dem Verlust der Biodiversität, mit geänderten Niederschlagsmustern und der Wasserverfügbarkeit u.v.a.m. Dabei sind Verteilungsfragen impliziert, denn es gibt keineswegs nur Verlierer.
Die Interessengegensätze zwischen den gesellschaftlichen Sektoren, die die Nutzung fossiler Brennstoffe vorantreiben, und klimafreundlicheren Sektoren und Lebensweisen, lassen sich nicht durch moralische Appelle aus der Welt schaffen. Verteilungsfragen sind dabei eng mit Fragen der Gerechtigkeit verbunden, denn betroffen von den Klimafolgen sind oftmals nicht die Profiteure aus der Nutzung fossiler Energien, sondern in erster Linie ärmere Bevölkerungskreise, die weniger zum Klimawandel beitragen. Dies gilt sowohl im nationalen als auch im internationalen Rahmen, wo – nach einer Faustformel – 20 Prozent der reichen Industrieländer für 80 Prozent des Treibhausgasausstoßes verantwortlich sind.
Dagegen treffen die Folgen vor allem die ärmeren Länder und Bevölkerungskreise, die wenig zur Erderwärmung beigetragen haben. Fragen sozialer Verwundbarkeit sind also zentral, denn es sind wirtschaftliche, soziale und politische Faktoren, die letztlich dafür verantwortlich sind, wie bestimmte Gruppen unter den Klimafolgen zu leiden haben.
Zudem wird auch unser Verständnis von „Natur“ und „Gesellschaft“ und damit das Selbstverständnis von Gesellschaften zunehmend in Frage gestellt. Insbesondere wirtschaftliches Wachstum und die etablierte Form der Produktion von Reichtum wird unter Begriffen wie Post-Wachstum oder De-Growth kritisiert. Zugespitzt: Wie kann das „Gute Leben für alle“ angesichts der Klimaveränderungen erreicht werden? Soziale Bewegungen und Netzwerke fordern seit einigen Jahren auf internationaler Ebene unter der Forderung nach Klimagerechtigkeit (Climate Justice) die offizielle Klimapolitik heraus und klagen gerechtere globale Natur- wie gerechtere soziale Verhältnisse ein. Diese Kritik richtet sich nicht mehr vordringlich an die internationale Klimadiplomatie, sondern versucht direkt vor Ort anzusetzen, sei es in konkreten Projekten wie alternativen Produktions- und Lebensweisen, sei es im Widerstand z.B. gegen die weitere Nutzung der Kohle.
Klimapolitik in der Krise
Auf internationaler Ebene kollidiert die Klimapolitik notwendig mit anderen Politikfeldern. Salopp gesagt wird bei internationalen Umweltabkommen immer auch die Energie-, Wirtschafts-, oder Handelspolitik „mitverhandelt“ – und das oftmals in kontraproduktiver Weise. Für den Erfolg dieser Abkommen ist also weniger die gute (wissenschaftliche) Begründung entscheidend als vielmehr die relative Macht der Akteure in den verschiedenen Politikfeldern. Insbesondere bei Spannungen zwischen Umwelt- und (Frei-)Handelsabkommen ist das entscheidend. Man spricht daher schon länger von einer fragmentierten Architektur der internationalen Umweltpolitik, weil diese weit davon entfernt ist, die komplex miteinander verbundenen und sich gegenseitig überlappenden Materien angemessen zu bearbeiten.
Doch das Problem sitzt noch tiefer. Spannungen lassen sich nicht nur im Verhältnis zwischen internationalen Abkommen beobachten. Vielmehr sind neoliberale Denkmuster längst auch in die Umweltabkommen eingewandert, was man an der Dominanz marktbasierter und flexibler Instrumente wie z.B. handelbarer Emissionszertifikate ablesen kann.
Die Neoliberalisierung der Umweltpolitik
Dadurch sind zwar neue Märkte entstanden, auf denen mit Verschmutzungsrechten gehandelt wird, aber ohne dass diese Instrumente bislang viel zum Klimaschutz beigetragen hätten. Vielmehr kann man hier als übergeordneten Trend eine Inwertsetzung der Natur festmachen, die diese zum Gegenstand kapitalistischer Akkumulationsstrategien macht. Neben einer Fragmentierung der internationalen Umweltpolitik muss man also auch die Hegemonie neoliberaler Denkmuster in Rechnung stellen, die in der Klima- und Umweltpolitik wie in vielen anderen Bereichen auch den Rahmen möglicher Gegenmaßnahmen vorgibt.
Was kann man angesichts dieser Ausgangslage von der internationalen Klimapolitik erwarten? Schon vor den letztlich gescheiterten Verhandlungen in Kopenhagen 2009 waren die Klimarahmenkonvention, aber auch andere Abkommen in die Kritik geraten. Letztlich seien diese Abkommen nicht in der Lage, die Ursachen der Umweltprobleme wirksam anzugehen und die neoliberale Globalisierung entsprechend zu gestalten. Die Fragmentierung der internationalen Umweltpolitik und die neoliberale Hegemonie wirken hier zusammen, denn eine kohärente Gestaltung kapitalistischer Globalisierung findet durch sie nicht statt. Umgekehrt wurden die globalen Machtverhältnisse auch in internationalen Institutionen festgeschriebenen und Umweltabkommen wurden ein Element des neoliberalen Umbaus globaler Gesellschaften.
Nicht ohne Grund formieren sich die Gegenbewegungen mit ihrer Forderung nach Klimagerechtigkeit weitgehend außerhalb der etablierten Institutionen. Die Koalitionen und Netzwerke, die sich hinter der Forderung nach „Climate Justice Now“ versammelt haben, kritisieren die neoliberale Hegemonie, doch ist die Radikalität ihrer Forderungen sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Sozial-ökologische Transformation
Aber eines dürfte inzwischen klar geworden sein: die Klimaerwärmung ist mit anderen Prozessen in komplexer Weise verbunden und sie kann nur erfolgreich angegangen werden, wenn die gesellschaftlichen Interessen und die damit verbundenen Machtverhältnisse thematisiert und kritisiert werden. Das ist letztlich die Herausforderung einer sozial-ökologischen Transformation, die auch die Institutionen transformieren muss, mit denen gesellschaftliche Naturverhältnisse gestaltet werden – in unserem Fall die Institutionen der internationalen Umweltpolitik. Und für einen solchen Umbau der Gesellschaften müssten sich auch neue Allianzen und Bündnisse bilden. Bislang konnte die Hegemonie neoliberaler Denkmuster zwar angekratzt, aber noch lange nicht überwunden werden. Wenigstens in diesem Punkt stehen wir noch am Anfang.