Interview mit Grünen-EU-Abgeordneten Claude Turmes: Europäische Klima- und Energieziele bis 2030

Die Governance-Verordnung ist ein wichtiger Baustein des Winterpakets. Welche der Änderungen, die das Parlament vorschlägt, liegt Ihnen am meisten am Herzen?

Die Governance-Verordnung ist ja eigentlich die Umsetzung des Pariser Abkommens in EU-Recht. Damit das Zwei-Grad-Ziel, das dort vereinbart wurde, in Reichweite bleibt, muss Europa spätestens 2050 eine CO2-neutrale Wirtschaftsweise erreichen – das ist das absolute Minimum. Daher erwarten wir, dass die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission langfristige Strategien formulieren, die mit diesem Ziel in Einklang stehen. Österreich plant, den Stromsektor bis 2030 zu 100 Prozent auf erneuerbare Quellen umzustellen. Daher hoffe ich, dass Österreich unseren Ansatz unterstützt.

Im sogenannten Trilog müssen nun EU-Parlament, Rat und Kommission Kompromisse finden. Wo sehen Sie dabei die größten Differenzen?

Bei der Abstimmung über den Bericht zur Governance-Verordnung im Jänner 2018 hat das Europäische Parlament meinem Kollegen Michèle Rivasi und mir das Mandat erteilt, diese Verhandlung mit dem Rat zu führen. Wir wollen mehr Transparenz bei der Gestaltung der Klima- und Energiepolitik. Weiters braucht es einen klaren und strengen Mechanismus für die Erreichung der Erneuerbaren- und der Energieeffizienzziele. Wir drängen darauf, dass die bulgarische Präsidentschaft die Flexibilität findet, dass diese Elemente in den Rechtsakt aufgenommen werden.

Sie haben sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass soziale Gesichtspunkte im Entwurf mehr Gewicht bekommen. Wo sehen Sie bei der Energiewende die wichtigsten sozialen Herausforderungen?

Die Energiewende ist ein Riesenschritt in Richtung mehr Demokratie im Energiesektor. Wind- und Sonnenenergie ermöglichen es jedem Haushalt, für den Eigenbedarf zu produzieren. Erzeugung, Verbrauch, Speichern, Verkaufen, Teilen – das sollten Optionen für alle EuropäerInnen sein, entweder einzeln oder kollektiv. Zusammen mit Energieeffizienz sind Eigenerzeugung und Energiegemeinschaften wirksame Mittel gegen Energiearmut. Übrigens bin ich verwundert, dass der Rat immer noch die Berichtspflicht über Energiearmut ablehnt, die das Parlament in die Governance-Verordnung einfügte. Und noch eines: Ich bin überzeugt, dass der Kohle-Ausstieg eine soziale Abfederung braucht, so dass es für die ArbeitnehmerInnen einen gerechten Übergang („just transition“) gibt.

Die Hinwendung zu Nationalismus und Unilateralismus macht auch vor der EU nicht Halt. Wie sehen Sie die Zukunft der klimapolitischen Ambition der EU im Licht dieser politischen Entwicklungen?

Solange die Mitgliedstaaten auf ihr Recht pochen, den Energiemix zu bestimmen, bleibt eine europäische Energiepolitik, die diesen Namen verdient, Zukunftsmusik. Ein konkretes Beispiel dafür: Die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten will keinen Strom aus französischen Atomkraftwerken importieren. Gleichzeitig subventioniert Frankreich weiterhin massiv die Nuklearenergie. So etwas steht in diametralem Widerspruch zur Formung einer wirklichen Energieunion, die auf Solidarität und Vertrauen beruht.