AK-Studie: Verankerung wohlstands­orientierter Politik

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist der wirkmächtigste Indikator der Wirtschaftspolitik. Geschaffen, um das Produktionsniveau einer Volkswirtschaft möglichst präzise abzubilden, wurde er im Laufe der Zeit auch als Maßzahl für Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg interpretiert. Dass diese Interpretation nur bedingt zulässig ist, wird seit den späten 2000er Jahren erneut diskutiert; weder Fragen der Verteilung des materiellen Wohlstands noch Aspekte der Lebens- und Umweltqualität werden vom BIP adäquat abgebildet. Seit 2007 haben sich unter anderem Fachgremien der OECD, der Europäischen Kommission und des Deutschen Bundestags mit der Frage beschäftigt, wie Wohlstand und gesellschaftlicher Fortschritt besser erfasst und verglichen werden können. Unter dem Projektnamen ‚Wie geht’s Österreich‘ veröffentlicht Statistik Austria auf Grundlage der europäischen Vorarbeiten seit 2012 einmal jährlich einen Bericht, in dem die nationale Entwicklung von materiellem Wohlstand, Lebensqualität und umweltorientierter Nachhaltigkeit umfassend dargestellt wird. 

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Doch obwohl auch durch die Nachwirkungen der großen Finanz- und Wirtschaftskrise und die klimapolitischen Herausforderungen das Bewusstsein für eine notwendige Neudefinition von Wohlstand zugenommen hat, ist die Rezeption der neuen Indikatorensets in der politischen Debatte weiterhin verhalten. Das Zielbündel der Strategie Europa 2020 ist beispielsweise relativ schmal, seine Umsetzung im Vergleich mit den in der Krise durchgesetzten Austeritätsmaßnahmen schwach institutionalisiert. Wie auf nationaler Ebene ein neues Wohlstandsverständnis verankert werden könnte, haben 2012 die Ökonomen Sebastian Dullien und Till van Treeck in einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung ausformuliert. Sie würden das deutsche Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 als Stabilitäts- und Wohlstandsgesetz mit vier neuen Zielen – materieller Wohlstand, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit von Staatstätigkeiten und -finanzen – neu definieren. In ähnlicher Weise hat der AK-Ökonom Georg Feigl für Österreich ein neues magisches Vieleck der Wirtschaftspolitik vorgeschlagen (siehe Grafik).Vor diesem Hintergrund fragt die Studie „nach den strategischen Möglichkeiten, eine wohlstandsorientierte Politik in Österreich besser zu verankern“. In einer interpretativen Policy-Analyse haben die Studienautoren 20 ExpertInnen Interviews mit VertreterInnen aus Politik, Verwaltung, Interessenvertretungen, Medien, NGOs und Wissenschaft geführt, sowie Thesen und Zwischenergebnisse in Workshops zur Diskussion gestellt. Dabei wurden Hindernisse einer Verankerung und mögliche Lösungen für drei unterschiedliche Öffentlichkeiten – die breite (mediale), die wissenschaftliche und die politisch-institutionelle (Fach-)Öffentlichkeit – thematisiert. Unter den thesenhaft 
ausformulierten Lösungsansätzen findet sich beispielsweise eine ressort­übergreifende Koordination in Wohlstandsfragen, die auch die Erarbeitung eines Gesamtkonzepts wohlstandsorientierter Politik erleichtern sollte. Ebenso wäre es entscheidend, die Debatte im Parlament und in der Zivilgesellschaft zu führen. FW