Politik

Umweltschutz: Konzernklagen gegen Staaten

iStock_000022455695Large.jpg
Eines der am heftigsten umstrittenen Themen in den Verhandlungen der EU mit den USA über das Freihandelsabkommen TTIP ist das Konzernprivileg, Staaten in Umgehung nationaler Gerichte unmittelbar vor einem privaten Ad-hoc-Schiedsgericht verklagen zu können. Dank massiver Kritik und Öffentlichkeitsarbeit von Gewerkschaften und Zivilgesellschaft ist die öffentliche Meinung zu den Schiedsgerichten verheerend und das Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren (ISDS) wird grundsätzlich hinterfragt. Weniger bekannt aber ist, dass die privilegierten Klagsrechte transnationaler Unternehmen bereits heute gang und gäbe sind. 

Seit den späten 1980er Jahren ist ISDS fixer Bestandteil von bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs) zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden. Rund 3.000 BITs sind in Kraft. Und ISDS in seiner Investor-freundlichsten Form ist Bestandteil der Energiecharta. Diese wurde 1994 von 53 Staaten unterzeichnet und regelt neben der Förderung der Effizienz von Energiemärkten auch die Lösung von Streitfällen zwischen – im Fall von ausländischen Investitionen – den Investoren und den Gastländern. Österreich hat 62 BITs mit Transformations- und Entwicklungsländern wie Kasachstan, China, Polen, Tschechien, etc. sowie die Energiecharta – wie alle EU-Mitgliedstaaten – unterzeichnet. 

Die in der Energiecharta wie auch diversen BITs vorgesehenen Investitionsschutzbestimmungen gehen weit über den verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums für inländische Unternehmen und BürgerInnen hinaus. Entschädigungszahlungen sind auch bei staatlichen Maßnahmen, die ähnlich wie eine Enteignung wirken können, zu leisten. Darunter fallen staatliche Gesetze, Verordnungen, Bescheide, Verfahren und Ähnliches. 

Waren die Bestimmungen ursprünglich als Schutz vor Enteignung durch staatliche Willkür gedacht, so wird Investitionsschutz heute von den Schiedsgerichten sehr großzügig ausgelegt. Es ist durchaus üblich, dass bei sich ändernden Rahmenbedingungen durch neue Umwelt- oder Gesundheitsgesetze den ausländischen Investoren Schadenersatzansprüche wegen indirekter Enteignung zugesprochen werden. Die Begründung: Die legitimen Erwartungen auf stabile Rahmenbedingungen wurden enttäuscht. Selbst entgangene zukünftige Gewinne sind zu entschädigen.

Klagen gegen Ökogesetze 

Die erste Konzernklage, die ihren Weg in die Medien gefunden hat, hat sich gegen ein neues kanadisches Umweltgesetz gerichtet: aus Gesundheitsschutzgründen hat das kanadische Parlament 1997 Einfuhr und Transport eines giftigen Benzinzusatzstoffes untersagt. Der US-Konzern Ethyl hat daraufhin auf Schadenersatz in Höhe von 201 Millionen US-Dollar geklagt. In einem Vergleich verpflichtete sich Kanada 13 Millionen US-Dollar zu zahlen und das Verbot zurückzuziehen. Erstmals wurde ISDS gegen eine staatliche Regulierung mit dem Argument der indirekten Enteignung angewendet und war erfolgreich. 

Die Urteile der privaten Ad-hoc-Schiedsgerichte waren auch weiterhin sehr investorenfreundlich, was zu einer regelrechten Klagswelle gegen Staaten geführt hat. Waren es Mitte der 1990er-Jahre noch etwa ein Dutzend Fälle, so waren Ende 2013 568 Fälle bekannt. Die Dunkelzahl dürfte aber viel höher liegen, da viele Kläger Schiedsgerichte ohne Transparenzregeln anrufen, deren Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgewickelt werden. 

Der oft zitierte Paradefall einer Investorklage gegen neue Umweltgesetze ist der von Vattenfall gegen Deutschland: 2012 hat der schwedische Energiekonzern eine Schadensersatzklage von 3,5 Milliarden Euro in Reaktion auf das Atomausstiegsgesetz eingereicht. Sein Argument: Im Vertrauen auf Laufzeitverlängerung hätte er in die Atommeiler Krümmel und Brunsbüttel investiert und diese Investitionen wären jetzt wertlos. Im Vergleich dazu steht den deutschen Atomkraftbetreibern RWE und EON nur der nationale Gerichtsweg offen. Sie haben eine Verfassungsklage eingereicht, an der sich Vattenfall ebenfalls beteiligt. Der Fall veranschaulicht auch, wie das Klagsprivileg ISDS inländische Mitbewerber diskriminiert. 

2013 zeigt deutlich die neue Dynamik der Investorenklagen auf: die 57 neuen ISDS-Fälle waren mehrheitlich gegen Industriestaaten gerichtet. 26 Klagen wurden gegen EU-Mitgliedstaaten eingereicht. Allein 
13 Solarenergieproduzenten haben Bulgarien, Italien, Spanien und Tschechien verklagt, weil die Länder die Einspeisetarife aufgrund von Budgetrestriktionen neu geregelt bzw. Steuerbegünstigungen gestrichen haben. Wegen Umweltregulierungen wurde einmal mehr Kanada verklagt: der kanadische Gaskonzern LonePine geht mit Hilfe seiner US-amerikanischen Tochterfirma gegen das Fracking-Moratorium in Quebec vor und ein weiterer Energieproduzent bekämpft mit ISDS das Windpark-Moratorium in Ontario. 

Konzernjustiz statt Rechtsstaat 

Von den bekannten Streitfällen wurden 274 bis 2013 abgeschlossen, wobei in fast zwei Drittel der Fälle die Regierungen Entschädigungen gezahlt oder sich auf einen Kompromiss wie Zurückziehen oder Beugen von angefochtenen Maßnahmen eingelassen haben. Auch wenn es den Investoren nicht immer gelingt zu obsiegen, haben die SteuerzahlerInnen meist die teuren Verfahrenskosten zu zahlen. Die OECD schätzt Verfahrenskosten pro Partei auf durchschnittlich acht Millionen US-Dollar.

Die privaten Schiedsrichterverfahren können sehr teuer kommen. Das bislang teuerste Urteil mit 50 Milliarden US-Dollar Strafzahlung plus 70 Millionen US-Dollar an Verfahrenskosten erging im Fall Yukos gegen Russland. Da die Urteile bindend sind, kann allein eine Klagsdrohung abschreckend wirken und Gesetzesinitiativen verhindern. Uruguay wollte zuerst das neue Tabakkontrollgesetz zurückziehen, nachdem Philip Morris auf Entschädigung wegen drohender Geschäftseinbußen geklagt hat. Die öffentliche Empörung und ausländische Spenden zur Prozessfinanzierung haben bewirken können, dass Uruguay sich im Verfahren verteidigt. 

Die privaten Ad-hoc-Schiedsgerichte entscheiden im Zuge der Entschädigungsklagen über die Verhältnismäßigkeit von unter anderem Umweltschutz- und Gesundheitsgesetzen. Ihre Urteile werden als inkonsistent und undemokratisch sowie mitunter auch parteiisch kritisiert. Die auf Investitionsschutz spezialisierten ExpertInnen sind eine kleine, eng miteinander verflochtene Gruppe von Anwaltskanzleien. Mehr als die Hälfte der bekannten Streitfälle wurden von nur 15 SchiedsrichterInnen entschieden. Sie fungieren nicht nur als SchiedsrichterInnen, sondern vertreten die Streitparteien nebenher auch als AnwältInnen und rufen sich in Verfahren gegenseitig als ExpertInnen auf. Interessenskonflikte, die das „Seitenwechseln“ mit sich bringen, sind eingeplant. 

Kein ISDS

Staaten haben in Streitfällen nichts zu gewinnen, sie können bestenfalls die Klage auf Entschädigungszahlungen abwehren. Die öffentliche Meinung zu den privaten Schiedsgerichten ist verheerend: demokratisch nicht legitimierte Geheimgerichte, parteiliche SchiedsrichterInnen und intransparente Verfahren. Selbst die LobbyistInnen des Systems geben zu, dass Reformbedarf bestehe und wollen mit punktuellen Verbesserungen wie mehr Transparenz, eine Revisionsinstanz und Verhaltenskodizes die private Schiedsgerichtsbarkeit im Kern retten. Aber Investitionsschutz und ISDS sind ungeachtet der großen Kritik fixer Bestandteil der EU-Verhandlungen zu Handelsabkommen. Damit würden so gut wie alle ausländischen Investoren die Sonderklagerechte bekommen, die die Regulierungsautonomie massiv einschränken und unsere rechtsstaatlichen Prinzipien unterlaufen. Das kann nur grundsätzlich abgelehnt werden!