Politik

Beteiligungs­rechte im Umweltschutz

Die Aarhus-Konvention (AarhusKV) hat sich zum Ziel gesetzt, die Durchsetzung des Umweltrechts mit Hilfe der Bürgerinnen und Bürger sowie der Umweltorganisationen zu verbessern. Dazu sieht die AarhusKV drei Säulen vor: das Recht auf Umweltinformation (1. Säule), die Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltrelevanten Entscheidungsverfahren (2. Säule) und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (3. Säule). Erstmals statuiert so ein völkerrechtliches Umweltschutzabkommen echte Rechtspflichten von Staaten, unter bestimmten Voraussetzungen Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten („access to justice“) einzuräumen. Konkret sollen Mitglieder der (betroffenen) Öffentlichkeit – jedenfalls Umwelt-NGOs – laut Artikel 9 AarhusKV rechtliche Behelfe ergreifen können, damit sie Verletzungen des innerstaatlichen Umweltrechts auch anfechten können. Das regeln die Absätze 1 bis 3 von Artikel 9 AarhusKV.

Bis auf einzelne Streitfragen hat Österreich die Vorgaben zur ersten und zweiten Säule schon dadurch umgesetzt, dass es die EU-Richtlinien zum Recht auf Umweltinformation (2003/4/EG) sowie zur Öffentlichkeitsbeteiligung in UVP- (Umweltverträglichkeitsprüfung) und IPPC- (Integrated Pollution Prevention and Control) Anlagengenehmigungsverfahren (2003/35/EG) realisiert hat. Die Bundes- und Landesgesetze dazu ermöglichen im Streitfall auch den Zugang zu Gerichten. Sonst fehlt es aber am Zugang zu Gericht, wenn „umweltbezogene Vorschriften“ verletzt sein können, so wie dies Art 9 Abs 3 AarhusKV verlangt. So die Vorwürfe aus Brüssel wie aus Maastricht.

Das führt zur ersten Besonderheit der AarhusKV: Umweltschutzabkommen binden herkömmlich nur die teilnehmenden Mitgliedstaaten. Und nur die können sich dann auch untereinander beschweren. In der AarhusKV ist aber vorgesehen, dass auch Beschwerden von „Mitgliedern der Öffentlichkeit“ entgegengenommen werden. Mittlerweile stammen fast allen Empfehlungen, die das Aarhus Convention Compliance Committee (ACCC), den Plenartagungen der Mitgliedstaaten zur Beschlussfassung vorlegt, von Beschwerden von Umwelt-NGOs. Zwei solcher Empfehlungen betreffen auch Österreich: ACCC/2010/48 stammt schon aus 2011; ACCC/2011/63 aus 2013. Beide hat die Vertragsstaatenkonferenz in Maastricht Ende Juni 2014 so beschlossen. ACCC/2010/48 rügt das Fehlen jeglicher Rechtsbehelfe im Sinne von Art 9 Abs 3 AarhusKV gegen das Tun oder Unterlassen von Behörden. ACCC/2011/63 verlangt zudem Rechtsbehelfe auch für das Strafrecht (z.B. das Artenhandelsgesetz), wenn Umweltverstöße nicht anders geltend gemacht werden können.

Der Sichtweise des ACCC hat sich nun auch die EU-Kommission im Mahnschreiben vom 11. Juli 2014 an den österreichischen Außenminister angeschlossen. Das führt zur zweiten Besonderheit: Die AarhusKV ist ein „gemischtes Abkommen“, weil ihr nicht nur die Mitgliedstaaten der EU sondern auch die EU selbst beigetreten sind. Art 216 AEUV bestimmt: Von der Union geschlossene Abkommen binden auch die EU-Mitgliedstaaten. Aus dem 2005 beschlossenen Beitritt der EU folgert die Kommission nun die Pflicht Österreichs, Art 9 Abs 3 AarhusKV in Bezug auf den gemeinschaftlich geregelten Rechtsbereich umzusetzen: Das gebiete das Prinzip der nützlichen Wirkung (Effektivitätsgrundsatz oder effet utile): Vorschriften dürfen nicht so umgesetzt werden, dass sie wirkungslos bleiben.

Pikant am Vorgehen der EU-Kommission ist, dass 
sie erst vor kurzem ihren RL-Vorschlag zur Umsetzung des Zugangs zu Gericht (KOM(2003) 624) zurückgezogen hat. Einige Mitgliedstaaten wie Deutschland, Großbritannien, Österreich oder Italien haben vehement blockiert. Deren Empörung darf man hinterfragen, haben sie doch argumentiert, dass eine zentrale Regelung nicht nötig sei, die Mitgliedstaaten es besser regeln könnten. Tja! Dann muss man aber auch selber umsetzen. Das Subsidiaritätsprinzip ist kein Freibrief für Untätigkeit. Das stützt auch das Vorgehen der Kommission. Auf eine Beurteilung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) darf man gespannt sein.

Dessen ungeachtet ist das Mahnschreiben interessant, weil es zeigt, worauf es ankommt: Gleich am Beginn bezieht sich die Kommission auf das laufende Vertragsverletzungsverfahren zum Wasserkraftwerk an der Schwarzen Sulm (Nr. 2013/4018) sowie auf die Ergebnisse des EU-Pilotverfahrens 5503/13/ENVI zu einem Wasserkraftwerk an der Ybbs. In beiden Fällen rügt die Kommission Verstöße gegen das Verschlechterungsverbot aufgrund der WasserrahmenRL 2000/60/EG (WRRL) bzw. der Fauna-Flora-HabitatRL 92/43/EG (FFH-RL): Die Anforderungen, unter denen österreichische Behörden Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot gewähren, seien zu gering. In keinem Fall konnten Umwelt-NGOs Rechtsbehelfe ergreifen.

Zutreffend sind auch die Darlegungen zum österreichischen Rechtsschutzsystem: Parteistellung und Zugang zu einer gerichtlichen Prüfung habe in Österreich nur, wer in Rechten betroffen sei; Materiengesetze räumen entweder ausdrücklich Parteistellung ein oder es ergebe sich über die Auslegung durch die Gerichte, die hier unterscheiden, ob eine Bestimmung nur die Allgemeinheit schützt oder dem einzelnen auch subjektive öffentliche Rechte und damit Parteistellung zuspricht („Schutznormtheorie“). 

Kern des Problems

Speziell zu den Naturschutzgesetzen der Bundesländer rügt die EU-Kommission, dass Nachbarn nicht einmal geltend machen können, dass ein Projekt gegen Naturschutzrecht verstoße, weil die österreichischen Gerichte der Auffassung sind, dass dieses nur die Allgemeinheit schütze. Das trifft auch den Kern des Problems, nicht nur für das Naturschutzrecht. 

Die Hinweise Österreichs, dass die Aarhus-KV einen großen Ermessensspielraum gebe und der Schutz der Umwelt über die Landesumweltanwälte gewährleistet sei, verwirft die Kommission: Die AarhusKV sehe keine Sachwalter vor, die die Interessen der Öffentlichkeit schützen sollen. Die AarhusKV verlange einen direkten Zugang zu Gericht. Auch das ACCC habe diese Argumentation Österreichs geprüft und verworfen.

Konkret bemängelt die Kommission das Fehlen von Klagerechten in den Umsetzungen zur FFH-RL, WRRL, AbfallrahmenRL 2008/98/EG sowie zur LuftqualitätsRL 2008/50/EG. Aber nicht nur Umwelt-NGOs sollen  – wie im UVP-Gesetz – Formalparteistellung bekommen. Auch Einzelpersonen sollen weitergehende Klagerechte erhalten.

Wie sich Österreich in seinem Antwortschreiben vom November gegenüber Brüssel verantwortet hat, ist nicht bekannt. Bis Ende Dezember 2014 muss übrigens auch dem ACCC berichtet werden. Möglichweise hat Österreich schon erste Zugeständnisse gemacht, zumal die Konferenz der Umweltlandesräte schon im Sommer den Umweltminister zur Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe für ein Bundes-Rechtsbehelfsgesetz aufgefordert hat, an dem sich dann Landes-Rechtsbehelfsgesetze orientieren können. Selbiges hat auch Umweltminister Rupprechter schon im Parlament angekündigt.

Hürden

All dies sollte aber nicht zur Einschätzung verleiten, dass damit das Thema schon „auf den Weg gebracht“ sei. Die Hürden sind vielfältig – ganz abgesehen von der naturgegebenen Abneigung, nicht bloß der Politik, bisher gewohnte „Gestaltungsfreiräume“ einer gerichtlichen Nachkontrolle zu öffnen.

Es beginnt schon mit der Frage, welche Verwaltungsakte davon erfasst sein sollen. EU-Kommission und ACCC folgen dabei einem umfassenden Verständnis. Nicht bloß Bescheide fallen darunter. Auch an faktische Maßnahmen wie etwa die (Nicht-)Vornahme von Abgasmessungen oder Planungsaufgaben usw. ist zu denken. Besondere Schwierigkeiten bereitet es, die (Nicht-)Erlassung von Verordnungen prüfbar zu machen. Dies wird eine Bundes-Verfassungsgesetznovelle brauchen. Ein weiteres Problem ist, dass eine bundeseinheitliche Regelung der Zustimmung aller je nach Materie zuständigen Ministerien bedarf. Zudem: Welche Materien fallen unter „umweltbezogene Vorschriften“?